SAN FRANCISCO, CALIFORNIA
ALEJA

“Sie können nun Ihren Anruf tätigen”, erklärte mir der stellvertretende Bezirksstaatanwalt, als er mich aus der Zelle führte. Es war bisher nicht wirklich schlimm gewesen. Verdächtigte mussten nicht ins Gefängnis. Ausserdem müsste man zuerst verurteilt werden und in unserem Fall würden wir auch nicht im selben Gefängnis wie Mörder und Drogenhändler landen. Trotzdem hätte ich es vorgezogen, gar nicht erst hierher gebracht zu werden. Wie es meinem Vater wohl ging?
Der Anwalt drückte mir ein antik anmutendes Natel in die Hand und verliess den Raum.
Wen zur Hölle sollte ich denn nun anrufen? Auf Gregs Ratschlag hin hatte ich ein paar Nummern auswendig gelernt, aber ehrlich gesagt war ich nicht geneigt, Hirschfeld & Partners anzurufen, währenddem mein Vater nicht da war, um diese Angelegenheit im Privaten handzuhaben. Scheisse, ich wollte ihn sowieso nicht in diese Sache involvieren.
Wem konnte ich diese Angelegenheit anvertrauen, im Wissen, dass es bei demjenigen bleiben würde? Mein Vater konnte mir sowieso nicht helfen. Er war Wirtschaftsanwalt, denn als Rechtsanwalt war es in der Privatwirtschaft am lukrativsten. Ich hingegen brauchte einen Strafverteidiger.
Ich hätte selbstverständlich den Anwalt anrufen können, den Greg mir und Jeff in New York empfohlen hatte. Aber obwohl wir alle gemeinsam in diesem Projekt steckten, fühlte ich mich wohler mit einem eigenen Anwalt, der nur in meinem Namen handelte. Ich ging lieber auf Nummer sicher, heutzutage wusste man ja nie.
Ein Name fiel mir spontan ein. Es gab noch einen weiteren Anwalt, den ich kannte und von dem ich wusste, dass er exzellent war, und der mir zweifelsfrei einen fähigen Verteidiger auftreiben könnte.
Aber Terence? Echt jetzt? Ich konnte ihn nicht ausstehen.
Aber naja, ich musste ihn ja auch nicht toll finden. Hauptsache, er erledigte seinen Job zu meiner Zufriedenheit.
DENVER, COLORADO
ANA

Seit zwei Stunden sass ich schon vor meinem Laptop. Ich hatte mich in mein Facebook Konto eingeloggt, um unseren Stunt persönlich mitzuerleben.
/Weisst du, wofür CIPA steht?/
Würde sich Dan an unsere Unterhaltung erinnern?
/Was, wenn du deine Hand auf die heisse Kochplatte hältst und es nicht schmerzt?/
Würde er eins und eins zusammenzählen und herausfinden, was an unserem gemeinsamen Backabend wirklich vorgefallen war?
/..nach dem Sex ins Bad zu rennen – oder schlimmer noch, den Akt abzuwürgen../
Würden ihm bei den Worten Sex und Badezimmer und abwürgen die Schuppen von den Augen fallen?
Ein Lächeln spielte mir um die Lippen, als ein anderer Gedanke aufpoppte. Es gab die Theorie, dass das männliche Hirn jegliche Kontrolle über seine Gedanken verliert, wenn es das Wort Sex hört.
Wollte ich, dass Dan die Verbindung herstellte? Dass er die Wahrheit über mich herausfand? Ich wusste es nicht. Normalerweise konnte ich mich bestens auf mein Bauchgefühl verlassen, aber mit dieser Sequenz von heute, die mir so nahe ging, war alles in mir so verkrampft und absorbiert, dass ich von meinem Bauch nichts mehr wahrnahm.
Wie wahr dies in der Tat war, war mir zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst.
Nach Ende der Sequenz spürte ich den überwältigenden Drang, Greg zu kontaktieren, ihm zu seiner genialen Arbeit zu gratulieren, aber nach unserem teilweise schiefgelaufenen Stunt in Denver, hatte er alle unsere Darknet-Smartphones konfisziert, deren Inhalt gelöscht und die Hardware wohl auf irgendeine mechanische Art pulverisiert.
Zudem konnte ich unsere Smartwatch nicht verwenden, da meine Fingerkuppen zu vernarbt waren, um den Zugriff mittels Fingerabdruck zu erlauben.
Ich war nicht mehr im Bild.
Was vermutlich am besten so war, aber es trug nicht zu einer guten Stimmung bei. Hoffentlich konnten wir bald wieder zusammenkommen.
Ich verliess die Facebook-Seite und wechselte zu NewsNetwork.
NewsNetwork: Die Sinnlosen nehen Facebook ins Visier. Schau selbst!
Dan würde ein paar Minuten brauchen, bis er einen detaillierteren Bericht schreiben konnte, aber zumindest war die Nachricht für alle Leser von NewsNetwork ersichtlich.
Die anderen Medienhäuser waren ihnen dicht auf den Fersen, denn soeben waren News Meldungen auf meinem Smartphone aufgepoppt.
CNN: Ist Zuckerberg Teil der Sinnlosen?
Fox News: Die Sinnlosen decken eine Sicherheitslücke auf Facebook auf. Höchste Zeit für Zuck seine Cyber-Abwehr aufzustocken.
Auf Instagram liefen über den Hashtag #dieSinnlosen bereits zehn Stories.
Ich war so stolz auf uns und unser Projekt. Mir war schon bewusst, dass dies weniger wegen dem Inhalt, also CIPA, der Fall war, sondern wohl fast gänzlich wegen dem Projekt Sinnlos, das eine Art Kultstatus erlangt hatte. Aber wie dem auch sei, Hauptsache, es brachte CIPA in die Öffentlichkeit. Und via Facebook erreichten wir Millionen von Menschen. Solche Werbung war unbezahlbar. Nicht in meinen kühnsten Träumen hätte ich mir jemals ausmalen können, dass meine Stiftung es so weit bringen würde. Ich war richtig high von diesem Gefühl.
Ich erschrak ob dem Läuten meines Handys und als ich aufs Display schaute, war mein High wie weggeblasen.
Es war Dan. Was würde ich ihm sagen? Was würde er überhaupt fragen?
Ich hing meinen Kopf in meine Hände. Und während ich tief und lange ein- und ausatmete, erblickte ich den Medizinkoffer. Der den Thermometer enthielt. Einen Thermometer, den ich die letzten beiden Tage komplett vergessen hatte. Nie, nie, aber wirklich nie vergass ich, meine Temperatur damit alle zwölf Stunden zu kontrollieren… Bis auf jetzt. War dieses High echt oder eine böse Vorahnung?
Das Läuten des Handys nur noch im Hintergrund wahrnehmend, griff ich nach dem Temperaturmesser und platzierte ihn mit zittrigen Händen ins Ohr. Dreissig Sekunden später war es Fakt. Hochgradiges Fieber.
Ich wusste, dass es nun zu spät war und tat, wofür ich zwar bestens vorbereitet war, jedoch gehofft hatte, nie den Ernstfall zu erleben. Ich würgte Dans Anruf ab und aktivierte den Notruf. Ich stand auf, um rüber zum Schrank zu gehen um alle medizinischen Infokarten hervorzunehmen. Schon beim ersten Schritt spürte ich den Krampf nach oben im rechten Oberschenkel. Fieber im Zusammenhang mit diesem Indiz bedeutete nur eines.
Ich hörte noch, wie eine weibliche Stimme am Telefon nach dem Notfall fragte, aber meine Beine gaben nach und ich fiel längs nach vorne, sah wie in Zeitlupe den blauen Teppich näherkommen. Und dann nichts mehr…
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