die lang ersehnte Fortsetzung von Projekt Sinnlos

Sinnlos – der Fall

Es ist nun doch schon etwas lange her, seit ich gesagt habe, dass die Fortsetzung von Projekt Sinnlos folgt. An dieser Stelle ein riesiges Excusé!

Als “Wiedergutmachung” und aus einem anderen Grund, über den ich weiter unten schreiben werde, habe ich entschieden, dass ich das Buch Kapitel für Kapitel auf meiner Website veröffentlichen werde. Denn…

Ich bin eine sehr begeisterungsfähige Frau, was “anufürsech” meines Erachtens eine schöne Qualität ist. Aber die Kehrseite der Medaille ist – meine Familie kann ein Lied davon singen (für die Nerven der ganzen Familie einfach bitte nicht David Gray 🙂 – dass ich mich oftmals übernehme, wenn mich etwas inspiriert.

Da ich nun aber ein weiteres Projekt am laufen habe, das mir sehr am Herzen liegt, möchte ich “Sinnlos – der Fall” leicht verdaulich für alle Beteiligten machen. Häppchen für Häppchen, hoffentlich für die Fans von Projekt Sinnlos als sehr Appetit-auf-mehr-anregende-Häppchen 😉 so dass meine Muse absolut entspannt wirken kann, ohne Druck, liefern zu müssen. Wir wissen ja, dass momentan überall Lieferkettenschwierigkeiten bestehen.

Wie viele von euch vielleicht wissen, arbeite ich mangels literarischem Netzwerk momentan noch ohne Verleger. Somit werden die Kapitel, die ich auf meiner Website veröffentliche, Rohdiamanten sein. Super Inhalte, woran aber noch geschliffen werden darf 🙂 Ihr dürft die Kapitel kostenfrei lesen, im Gegenzug dürft ihr mir aber auch Rückmeldung geben, falls ihr einen Fehler entdeckt.

Es ist nämlich so, dass ich Projekt Sinnlos während 9 Jahren geschrieben habe und immer wieder zeitlich mal hier eine Szene geschrieben habe, dann eine andere und am Schluss etwa ein halbes Jahr damit beschäftigt war, das Ganze in eine chronologische Abfolge zu bringen.

Was mir zum Beispiel passierte, war der folgende “Fehler”. Beim Schreiben des Kapitels, wo Greg Lea nach dem Konzert nach Hause bringt, schrieb ich, dass Greg wartete, bis er Licht in Leas Wohnung angehen sehen würde, um sie wohlauf in ihrer Wohnung zu wissen. Eigenständig, wie sie immer sein wollte, beharrte sie nämlich darauf, dass er sie nicht wie in bester Gentleman-Manier zur Tür bringen durfte. (Hallo? Lea? Solch ein toller Mann und du musst unbedingt auf “selbstständig” machen…???) Also machte er das zweitbeste Gentleman-hafte und wartete im Auto darauf, dass bei ihr Licht angehen würde.

Aufmerksame Lesende bemerken den obigen Fehler. Ich als begeistert in die Tasten hauende Autorin bemerkte ihn erst beim Korrekturlesen.

Bei Lea wird nie Licht angehen, wenn sie ihre Wohnung alleine betritt. Für gänzlich blinde Personen ist Licht unbedeutend…

Eine weitere Herausforderung stellte sich mir dann aufgrund der langen “Produktionszeit”.

OneOne. Die App, mit der meine Truppe anonymisiert kommunizieren konnte. Die wurde doch tatsächlich im August 2017 eingestellt. Das wusste ich, weil ich die selber ab und an benutzte. Also musste ich die Timeline für mein Projekt zurückschieben. Aus dem New York City SummerStage Festival wurde das freihändig von mir erfundene MayStage Festival. Und die Denver Broncos mussten “spontan” Vorsaison spielen.

Aber immerhin wurde so die Chocolates4ever-Sequenz viel spannender. Von daher war die unvorhergesehene Einstellung vom OneOne-Service doch noch positiv.

Der langen Rede kurzer Sinn; ich freue mich RIESIG auf dieses Schreib-Projekt. Mit Euch, für Euch, aber vor allem auch für Mich – denn ich liebe meine Sinnlos-Truppe und ehrlich gesagt, habe ich diese Fünf in den letzten Jahren schwer vermisst.

Ach, und bevor ich’s vergesse: falls ihr eine Anregung zu meiner Geschichte habt, allenfalls ein paar originelle Ideen, einfach mir mitteilen. Sozusagen als Inspiration von Aussen. Denn im Team ist man immer besser!

Ach, und ja, das Wichtigste: Heute Abend veröffentliche ich das 1. Kapitel. Und damit ihr schon eingestimmt seid auf heute Abend: hier die letzten paar Seiten von Projekt Sinnlos:

NEW YORK CITY, NEW YORK

ALEJA

Ich nahm das Smartphone aus der neuen Salvatore Ferragamo Handtasche, die ich mir gestern gegönnt hatte. Ich starrte auf die Nummer. Es war meine Mutter. Aber das machte keinen Sinn. Sie hatte mir seit meinem unrühmlichen Abgang noch nie eine SMS geschickt, auch nicht als ich ihr eine Nachricht mit meiner neuen Nummer geschickt hatte. Sie hatte meine öffentliche Abkehr von Vater als unverzeihliche Demütigung angesehen.

Isabel: Querida, du musst sofort zurückkommen. Dein Vater hatte einen Schlaganfall.

Oh mein Gott!!

«Hey, kehren Sie sofort um», schrie ich den Fahrer beinahe an.

«Was??»

«Fahren Sie mich sofort zum JFK Flughafen.»

Er machte bei der nächstmöglichen Gelegenheit eine Kehrtwende. Es schien ewig zu dauern, was aber beim New Yorker Verkehr kein Wunder war. «Könnten Sie bitte etwas schneller machen?», drängte ich ihn. «Ich bezahle doppelt soviel.»

Er tat wie befohlen, denn die Strecke war schon zum Normaltarif teuer. Während der Fahrt, die mir immer noch wie eine halbe Ewigkeit vorkam, rief ich verschiedene Fluggesellschaften an und schaffte es, Tickets für den nächsten verfügbaren Flug nach San Francisco zu ergattern. Zufrieden war ich trotzdem nicht, denn ich würde Economy fliegen müssen.

Aber bald waren meine Gedanken wieder bei meinem Vater. Wie dumm und engstirnig war ich gewesen? Was, wenn mein Vater es nicht schaffte? Wieso hatte ich ihm nicht verzeihen können? Er war doch mein Vater!

Sobald ich beim Flughafen ausgestiegen war, schnappte ich mir meine Handtasche, nachdem ich den Uber-Fahrer – wie versprochen – doppelt entlohnt hatte, und rannte durch die Eingangshalle. Ungeduldig wartete ich hinter den drei Passagieren, die am Check-in Schalter der Business Class warteten. Das Personal hätte nichts dagegen, dass ich Economy fliegen und trotzdem dort einchecken würde. Schliesslich war ich VIP-Mitglied mit Platinum Karte. Es war nach Albany erst das zweite Mal, dass ich mir Economy überhaupt antat. Aber ich wollte nicht wertvolle Zeit verschwenden, wenn ich nicht wusste, wie es meinem Vater ging.

Es dauerte ewig, bis ich endlich im Flieger sass und nochmals viel länger, bevor sie das Ding überhaupt in Bewegung setzten. Mir ging nicht in den Kopf, wieso sie diese Farce mit dem Verhalten bei Notfällen überhaupt noch zeigen mussten. Wusste denn mittlerweile nicht jeder, was im Falle einer Notlandung zu tun war? Zudem hörte ich immer nur von fatalen Flugzeugabstürzen, jedoch niemals von gelungenen Notlandungen. Mit der Ausnahme dieser einen Notlandung auf dem Hudson River, die lediglich die Regel bestätigte. Sollte uns das als valable Erklärung der Abschaffung dieser leidigen Prozedur nicht ausreichen? Und wer zur Hölle schenkte dieser Show überhaupt noch Beachtung?

«Verdammt! Beeilt euch!», hätte ich am liebsten laut geschrien. Dem Blick des Typen neben mir nach zu urteilen, schien es, als hätte ich es getan. Oder vielleicht sah er mich so an, weil ich halbwegs am Hyperventilieren war.

«Miss», sprach mich eine freundliche Flugbegleiterin an. «Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein?»

«Können Sie dieses verdammte Flugzeug schneller zum Fliegen bringen?», fauchte ich sie an. Sie sah mich verdutzt an. «Nein? Dann können Sie mir leider nicht helfen!»

So wie wir gelandet waren, schaltete ich mein Smartphone wieder an. Das Wichtigste war jetzt, herauszufinden, wo sie meinen Vater hingebracht hatten. Ich checkte das Internet für alle verfügbaren Gesundheitszentren in Tiburon. Es gab nur ein Marina Genesungs- und Rehabilitationszentrum ganz in der Nähe, aber ich bezweifelte, dass sie über eine Intensivstation verfügten, die mein Vater sicherlich brauchen würde. Das Marin General Krankenhaus war nicht weit entfernt. Ich rief deren Hauptnummer an. Meine Flugzeugnachbarin schien nicht allzu erfreut darüber, als ich mein Smartphone wieder an mein Ohr hielt. Also entschuldigte ich mich schnell auf die Toilette und ging den Gang entlang nach hinten.

«Marin General Krankenhaus, Lauren Clarke. Wie kann ich Ihnen helfen?»

«Hi, ich bin Alejandra Lopez. Mein Vater liegt bei Ihnen auf der Intensivstation, oder na ja, ich wollte nur sichergehen, dass er es ist. Können Sie mir helfen?»

«Lopez, sagten Sie?», fragte sie nach.

«Ja. Der Name meines Vaters ist Miguel Lopez. Ist er bei Ihnen?»

Ich fluchte leise. Miguel Lopez war wie die hispanische Version von John Smith in den USA. Nicht der exotischste Name, daher nicht gerade hilfreich für den Fall, dass man ihn finden musste. Mein Vater lachte normalerweise darüber, wenn jemand es erwähnte. «Je mehr es von mir gibt, desto weniger wahrscheinlich werden sie mich finden, wenn sie es wollten.» Im Moment fand ich das nicht so lustig.

Typischerweise hatten Latinos zwei erste und zwei Nachnamen, aber mein Vater hatte beim Erstellen seines amerikanischen Passes den zweiten Vor- und Nachnamen weggelassen, weil er nicht als stolzer spanischer Macho gelten wollte. Höchstwahrscheinlich, weil er genau das in Wahrheit war.

«Nun, wir haben tatsächlich einen Patienten mit diesem Nachnamen», bestätigte sie zögerlich. Aus Datenschutzgründen durfte sie nicht angeben, wer sich bei ihnen aufhielt. Aber zu bestätigen, dass eine Person mit dem Allerweltsnachnamen Lopez im Krankenhaus war, war keine grosse Sache.

Ich bedankte mich und bat sie, ob sie allenfalls meiner Mutter, Isabella Gutierrez Souza de Lopez mitteilen könne, dass ich auf dem Weg zu ihr sei.

Ich hörte sie lächeln: «Ich werde es versuchen.» Die klassisch unverbindliche Antwort, die man gibt, wenn man nicht bestätigen darf, ob die Person da ist oder nicht. Aber ich war ihr dankbar, denn sie würde es sicher versuchen und dann würde meine Mutter mich zurückrufen.

Hoffentlich war es mein Vater Miguel Lopez. Als Nächstes rief ich die Mietwagenagentur am San Francisco International Airport an. Ich reservierte ein Auto mit viel PS. Ich hätte ein Taxi rufen können, aber ich konnte nicht noch einmal untätig auf dem Rücksitz eines Autos sitzen. Ich wäre die welt-schlechteste Beifahrerin. Und in San Francisco hatte ich schliesslich Heimvorteil; ich wusste, wo ich das Tempolimit überschreiten konnte und wo nicht.

Wie zu erwarten war, sichten Sicherheitsbeamte einen nervösen Passagier innert kürzester Zeit. Ich gab mein Bestes, aber wenn dein Vater, mit dem du die letzten paar Monate kein Wort mehr gesprochen hast, in weiss Gott welchem Zustand auf der Intensivstation liegt, dann schwitzt du schon allein von der herkuleischen Anstrengung, nicht nervös zu wirken.

Was selbstverständlich dazu führte, dass sie mich kontrollierten. Gott sei Dank hatte ich nur meine Handtasche mitgebracht, die ich noch von der vorherigen Nacht bei mir hatte. Ich konnte nicht zusehen, wie der Typ vom Inspektionsteam die Tasche in einem unglaublichen Schneckentempo ganz vorsichtig öffnete, riss sie ihm aus den Händen und schüttete mit einem Schwenk alle Gegenstände aus der Handtasche auf den Tisch. Ich hatte keine Zeit zu verschwenden, während dem er meinen Lippenstift mit einer Pinzette rausfischte.

Immerhin hatte der Typ genügend Anstand, rot zu werden, als er ein Kondom, das über den Rand des Tisches gefallen war, einsammeln musste. Er war noch sehr jung, höchstens zwanzig und wagte es nicht, mir wieder in die Augen zu sehen.

«Hören Sie zu», sagte ich in dem geduldigsten Ton, den ich aufbringen konnte. «Wenn Sie wollen, lege ich hier einen Strip hin, damit Sie wissen, dass ich nichts quer durch das Land schmuggele.» Der zweite Kontrolleur, wahrscheinlich fünf Jahre älter als ich, schien diesem Vorschlag nicht im Geringsten abgeneigt. «Aber ich bin in Eile, denn mein Vater liegt etwa 25 Meilen nördlich von hier im Krankenhaus und ich möchte dorthin kommen bevor er vor der Himmelspforte steht, okay?»

Der Vorgesetzte des Inspektionsteams, der die ganze Szene vom Tisch nebenan aus gesehen hatte, gab den beiden Typen ein zustimmendes Nicken, damit sie mich gehen liessen. Der jüngere Typ schien erleichtert, der ältere schwer enttäuscht. Ich beeilte mich und bahnte mir einen Weg durch die Masse der Touristen. Ich fühlte mich wie ein Football-Spieler auf der Running-Back-Position, der versucht, einen Weg durch die sieben muskelbeladenen Gegner der vordersten Front zu finden.

Als ich es endlich bis zur Autovermietung geschafft hatte, fand ich dort eine Frau in etwa meinem Alter mit peinlich überlangen, roten Nägeln und einem Missgeschick einer Frisur, die an Dirty Dancings Baby erinnerte, vor. Mit einem geheuchelten Lächeln auf den Lippen liess sie mich den Mietvertrag unterschreiben.

«Ich brauche noch eine Kopie Ihres Führerscheins», erklärte sie mit einem unglaublich lang gezogenen Südstaaten-Akzent. Ich hätte sie erwürgen können, aber das wäre kontraproduktiv gewesen, denn dann wären ihre Worte noch langsamer herausgekommen. Des Weiteren würde ich wohl wegen versuchten Mordes in Handschellen abgeführt werden. Ich gab ihr meinen Führerschein mit einem falschen Lächeln, das ihres in den Schatten stellte.

Endlich im Auto – ich hatte nicht nachgesehen, ob es beschädigt war – trat ich auf das Gaspedal und machte mich auf den Weg zur Interstate Highway. Verdammt, das Auto hätte Hunderte von Beulen haben können. Solange es seine ausgezeichnete und einwandfreie Fahrleistung nicht beeinträchtigte, war mir das völlig egal. Ich drückte das Gaspedal voll durch, als ich eine freie Spur vor mir hatte und fuhr an den anderen Autos vorbei. Ich war erleichtert. Ich würde es rechtzeitig zu meinem Vater schaffen, davon war ich überzeugt. Oder gab mein Bestes, mich mindestens so zu fühlen.

Ich verlangsamte in den Passagen, die normalerweise überwacht wurden. Ein überlegenes Lächeln umspielte meine Lippen. Man musste nur wissen, wo die Radarkameras plaziert waren.

In keiner Weise war ich darauf vorbereitet, plötzlich ein Polizeiauto mit heulenden Sirenen in meinem Rückspiegel zu entdecken. Scheisse. Scheisse. Verdammte Scheisse!! Ich war mindestens 30 Meilen über der Höchstgeschwindigkeit. Auf gar keinen Fall käme ich mit einem lasziven Lächeln und sexy Wimpernaufschlag davon.

Resigniert verlangsamte ich und hielt auf dem Pannenstreifen an. Als ich den Motor abgewürgt hatte, schlug ich meinen Kopf gegen die Kopfstütze und schrie weiss Gott wie viele Kraftausdrücke auf Englisch und Spanisch durch den Wagen. Ich brauche nicht in den Rückspiegel zu sehen, um zu wissen, wie der Beamte aus seinem Auto stieg, kurz seine Waffen checkte und auf mein Auto zuschritt.

Ich öffnete mein Fenster, obwohl ich wusste, dass er wohl mehr tun würde, als nur mit mir reden.

«Ma’am, bitte steigen Sie aus Ihrem Wagen aus!»

Ich hörte die wirsche Stimme des Beamten und stieg zitternd aus. Nicht aus Angst, sondern weil ich wütend über meine eigene verdammte Dummheit war und über die Situation. Mein Vater lag im Sterben und was tat ich? Ich fuhr wie eine Idiotin, ignorierte alle Tempolimits, so dass die Polizei gar nicht anders konnte, als mich abzuführen. Ich wusste nicht, auf wen ich wütender war. Auf mich oder auf den Polizisten, der mich soeben in Handschellen gelegt hatte, während ich mit dem Rücken zu ihm gegen die Motorhaube meines Wagens stand. Wahrscheinlich auf mich.

Der Polizist las mir meine Rechte vor, bevor er mich in den hinteren Teil des Polizeikreuzers schubste. Er fuhr mich ohne Umwege zur nächsten Polizeiwache. Dort gab er meinen Führerschein einer mürrisch aussehenden Polizistin, die nicht im Geringsten aussah wie die Frau, die meinen Führerschein keine halbe Stunde zuvor in Händen gehalten hatte. Ich sah, wie sie als Nächstes meinen Pass inspizierte und ihn dann durch einen Scanner schob.

Sie schien geschockt, als sie auf den Bildschirm schaute.

«Henry?», rief sie dem Polizisten zu, der mich hingebracht hatte. «Wirfst du bitte kurz einen Blick auf meinen Bildschirm?»

Er ging zu ihrem Computer hinüber, schaute auf den Bildschirm und was auch immer darauf stand – ich wusste es nicht – liess seine Augen ganz gross werden. Als er durch den Raum hinweg zu mir sah, entdeckte ich Neugierde in seinem Blick und etwas, das fast schon an Ehrerbietung grenzte. Alles um mich herum verschwamm und begann um mich herum zu wirbeln.

Das Einzige, was ich mit Klarheit sah, war ich – vor ein paar Jahren, als ich meinen Pass erneuerte – wie ich meine Fingerspitzen zur Aufnahme in den Scanner hielt.

GREG

Facebook war der nächste und letzte Stunt unserer Kampagne. Ana hatte mir alles gegeben, was ich dazu brauchte. Und noch ein bisschen mehr. Am Ende ihres letzten Briefes schrieb sie, Klein habe nach mir gefragt. Da wir nur noch per Brief kommunizieren konnten, hatte sie auch schon alle Fragen beantwortet, von denen sie dachte, dass ich sie ihr stellen würde.

Nein, sie habe ihnen nicht gesagt, dass sie mich kannte und die Polizei habe auch keine weiteren Informationen herausgegeben, als dass sie wussten, dass ich Jackies Bruder war. Nun, das war nicht schwer ausfindig zu machen. Allerdings hätte mein Name auch bei einem anderen Teil ihrer Untersuchung auftauchen können. Vielleicht hatten sie das Ana nicht sagen wollen und damit vertuscht, dass ich lediglich Jackies Bruder war.

Ich fand Letzteres wahrscheinlicher, aber sie konnten schlicht und einfach keine Beweise haben. Ich hatte Jeff und Aleja gut vorbereitet und sogar Ana war instruiert. Ich war noch nie in ungesichertem elektronischen Kontakt mit ihnen gewesen und hatte selbst keinerlei Spuren hinterlassen.

Sie müssen versucht haben, sie mit meinem Namen zu provozieren. Zum Glück hatte sie dichtgehalten. Wenn man bedenkt, dass ich niemandem der Sinnlosen gesagt hatte, dass Jackie meine Schwester ist, war das eine echte Leistung. Menschen unter Stress reagierten normalerweise nicht gut auf Überraschungen.

Aber zurück zur letzten Aktion der Sinnlosen. Ich war für die Umsetzung zuständig. Ich musste die Datei auf den Firmenserver hochladen, damit das Programm während den nächsten fünfzehn Minuten angezeigt wurde. Länger ging nicht, ohne dass ich dem System irreparablen Schaden zuführen würde. Was ich nie in Erwägung ziehen würde.

Zudem würden 15 Minuten längstens ausreichen: Facebook war eine der meistbesuchten Websites und Apps. Instagram wäre von dem her auch in Frage gekommen, aber das Zielpublikum war dort demographisch gesehen weniger vielschichtig.

Durch die Presse und Jeffs Recherchen hatten wir erfahren, dass mittlerweile zwei Ex-Hacker auf uns angesetzt worden waren. Die waren aber beide bestenfalls zweitklassig. Ausserdem waren sie so lange im Gefängnis gesessen, dass sie nicht auf dem neuesten Stand der Hackerszene waren.

Ich musste eingestehen, ich war ein kleines Bisschen selbstzufrieden. Ich nahm tief Luft und löste das automatische Telefonprogramm aus.

Keine Minute später erhielt ich Feedback und startete das Programm.

DAN

Ich hörte mein Smartphone auf dem Nachttisch surren. Ich war ein bisschen benommen, aber griff nach dem Telefon. «Morgen?»

«Guten Morgen, Dan!», sprach eine verzerrte Stimme – vom Computer verzerrt, in derselben Art, wie sie The Anonymous verwenden. Auf einen Schlag war ich hellwach. Die Sinnlosen!

«Ich kann leider nicht lange machen, denn ich hab’s eilig.»

Na, dann mach schon!

«Du hast einen Facebook-Account, nicht wahr?»

Ich lächelte trocken. Als ob sie das nicht bestens wüssten. «Selbstverständlich!»

«Nun, dann log dich mal wieder ein!» Und damit war die Leitung tot.

Ich verlor keine Zeit und rannte in mein Büro. Innerhalb von Sekunden hatte ich meine Login-Daten eingetippt und auf Enter gedrückt. Aber anstatt mein Profil anzuzeigen, wurde plötzlich alles schwarz.

Oh mein Gott, bitte löscht meine Daten nicht!

Ich hatte schon Ewigkeiten kein Backup mehr gemacht. Eine fremde Person schien meinen Computer zu übernehmen und begann zu tippen. Ich hatte einen kurzes Déjà-vu zum ersten Teil der Matrix-Filme, als sie Neo über seinen Computer ansprachen.

/ Weisst du, wofür CIPA steht? /

Der Satz blieb so stehen, nur der Cursor blinkte, scheinbar wartend. Ein paar Sekunden vergingen und immer noch passierte nichts. Ich runzelte die Stirn. Erwarteten sie etwa, dass ich Antwort gab? Meine Finger verharrten über der Tastatur, und so entschied ich zu antworten.

/ Nein /

Es funktionierte. Der Schreiberling, oder schlicht das Programm, übernahm die Tastatur wieder.

/ CIPA steht für Angeborene Schmerzunempfindlichkeit mit Anhidrose /

Was? Was zum Henker war Anhidrose? Ich verharrte erneut über der Tastatur und tippte dann diesen Gedanken ein.

/ Was? /

Jackpot!

/ Es ist ein äusserst seltener Gen-Defekt, der bewirkt, dass die Betroffenen keine Schmerzen verspüren. Anhidrose ist die Unfähigkeit zu schwitzen. Unempfindlichkeit gegenüber Schmerzen ist einfach zu verstehen. Aber gekoppelt mit der Unfähigkeit zu schwitzen? Kannst du dir ein solches Leben vorstellen? /

Ich war gerade erst aufgestanden und stand mir noch selber auf der Leitung, aber schliesslich sickerte durch, an was mich das erinnerte. An etwas, das Ana mir vor einiger Zeit erzählt hatte. Ich erinnerte mich jedoch nicht an alle Details.

/ Nein /

/ Stell dir vor, du schneidest dich versehentlich und spürst keinen Schmerz. Wie bemerkst du überhaupt, dass du dich geschnitten hast? Genau – das tust du nämlich nicht! Hast du schon mal Bauchschmerzen gehabt und dir gewünscht, du könntest den Schmerz nicht fühlen? /

Das hatte ich in der Tat. Es gab eine lange Reihe von Zwischenfällen in meinem Leben, in denen ich es vorgezogen hätte, keine Schmerzen zu spüren.

/ Ja /

/ Was, wenn du eine Blinddarmentzündung hast und du weisst es nicht, weil du keinen Schmerz fühlst? Was, wenn du deine Hand auf die heisse Kochplatte hältst und es nicht schmerzt? Es gibt sicher Zeiten, in denen du dir wünschst, dass du nicht schwitzen würdest, oder zumindest der Typ neben dir im Bus nicht, nicht wahr? /

Wieder, / Ja /

/ Weisst du, warum du schwitzt? /

Ich hatte eine Ahnung, aber sollte ich Ja oder Nein schreiben? Um auf Nummer sicher zu gehen, tippte ich Nein.

/ Wir schwitzen, damit unser Körper die Hitzebelastung kompensieren kann. Schwitzen kühlt uns ab. Möchtest du, dass ich dir ein paar Beispiele gebe, was von Anhidrose betroffene Menschen durchmachen? /

/ Ja /

/ Stell dir vor, du hast ein Date und bist vorher sehr nervös. Nervös sein führt zum Schwitzen. Wahrscheinlich landest du im Krankenhaus anstatt in den Armen deines Dates. Oder sagen wir, du schaffst es bis zu deinem Date, vielleicht habt ihr sogar Sex. Nun, seien wir ehrlich, hast du schon jemals Sex gehabt, ohne zu schwitzen? Bezweifle ich. Wasser ist nebst Schwitzen die einzige Möglichkeit, uns abzukühlen. Nach dem Sex ins Bad zu rennen – oder schlimmer noch, den Akt abzuwürgen – tönt nicht ganz so romantisch, oder? Naja, man könnte diese körperliche Tätigkeit in die Dusche verlegen. Aber was, wenn du dich dabei erkältest? Fieber, wenn unentdeckt, kann dich umbringen! Woran merkst du, dass du Fieber hast? Wegen des dumpfen Kopfschmerzes? Leider hast du den aber nicht, da du ja keinen Schmerz verspürst. Was meinst du, warum es wohl kein Medikament dafür gibt? Und warum es das wahrscheinlich auch nie geben wird? /

/ Nein /

/ Weil CIPA so selten ist, dass sich der Aufwand für Forschung und Entwicklung schlicht nicht lohnt. Kein Unternehmen wird Geld in etwas investieren, wenn dann nicht ausreichend Nachfrage nach dem Medikament besteht. Mit lediglich ein paar Hundert Betroffenen in den USA haben CIPA-Patienten einen schweren Stand. Wenn du ein paar Dollar verschmerzen kannst, spende doch an die Omnisense Stiftung mit dem Vermerk CIPA, damit es direkt diesem Projekt zu Gute kommt. Ein Pro-Bono-Projekt wurde bereits initiiert, Informationen dazu findest du unter http://www.asolutionforcipa.com. Klicke hier, um zu Facebook zurückzukehren. Dankeschön! Mit besten Grüssen an Mark ☺ /

Wow. Einfach wow! Ich war sprachlos. Ich hatte noch nie etwas in dieser Art gesehen. Phänomenal! Und dann kehrte mein Verstand zurück in seinen üblichen Reporter-Modus. Was wären die Antworten gewesen, wenn ich «Ja» anstatt «Nein» geantwortet hätte und umgekehrt?

Ich versuchte es erneut.

/ Wissen Sie, wofür CIPA steht? /

Dieses Mal antwortete ich mit / Ja /

/ Toll!! Aber hast du auch wirklich darüber nachgedacht? Stell dir vor, du schneidest dich versehentlich und bemerkst es nicht. Wieso solltest du es überhaupt bemerken? Du fühlst den Schmerz ja nicht! Hast du schon mal Bauchschmerzen gehabt und dir gewünscht, du könntest den Schmerz nicht fühlen? /

/ Nein /

/ Du bist gut, denn Schmerz ist gut für dich, denn es lässt dich wissen, dass etwas nicht stimmt, denn was ist, wenn du eine Blinddarmentzündung hast und du weisst es nicht, weil du keinen Schmerz fühlst? Was, wenn du deine Hand auf die heisse Kochplatte hältst und es nicht schmerzt? Es gibt sicher Zeiten, in denen du dir wünschst, dass du nicht schwitzen würdest, oder zumindest der Typ neben dir im Bus nicht, nicht wahr? /

/ Nein /

/ Oops, du hast mich wohl missverstanden. Die eigentliche Frage war; es gibt sicher Zeiten, in denen du dir wünschst, dass du nicht schwitzen würdest, oder zumindest der Typ neben dir im Bus nicht, nicht wahr? /

Also tippte ich / Ja / ein, ansonsten käme ich hier offensichtlich nicht weiter.

/ Weisst du, warum du schwitzt? /

/ Ja /

/ Wow !!! Du bist grossartig. Willst du ein paar Beispiele, was passiert, wenn du nicht schwitzen kannst? /

/ Nein /

/ Schade, denn du kriegst sie trotzdem! /

/ Wir schwitzen, damit unser Körper die Hitzebelastung kompensieren kann. Schwitzen kühlt uns ab. Möchtest du, dass ich dir ein paar Beispiele gebe, was von Anhidrose betroffene Menschen durchmachen? /

 / Stell dir vor, du hast ein Date und bist vorher sehr nervös. Nervös sein führt zum Schwitzen. Wahrscheinlich landest du im Krankenhaus anstatt in den Armen deines Dates. Oder sagen wir, du schaffst es bis zu deinem Date, vielleicht habt ihr sogar Sex. Nun, seien wir ehrlich, hast du schon jemals Sex gehabt, ohne zu schwitzen? Bezweifle ich. Wasser ist nebst Schwitzen die einzige Möglichkeit, uns abzukühlen. Nach dem Sex ins Bad zu rennen – oder schlimmer noch, den Akt abzuwürgen – tönt nicht ganz so romantisch, oder? Naja, man könnte diese körperliche Tätigkeit in die Dusche verlegen. Aber was, wenn du dich dabei erkältest? Fieber, wenn unentdeckt, kann dich umbringen! Woran merkst du, dass du Fieber hast? Wegen des dumpfen Kopfschmerzes? Leider hast du den aber nicht, da du ja keinen Schmerz verspürst. Was meinst du, warum es wohl kein Medikament dafür gibt? Und warum es das wahrscheinlich auch nie geben wird? /

/ Ja /

/ Okay, du weisst also bereits, dass es wegen zu geringer Nachfrage ist. Wenn du ein paar Dollar verschmerzen kannst, spende doch an die Omnisense Stiftung mit dem Vermerk CIPA, damit es direkt diesem Projekt zu Gute kommt. Ein Pro-Bono-Projekt wurde bereits initiiert, Informationen dazu findest du unter http://www.asolutionforcipa.com. Klicke hier, um zu Facebook zurückzukehren. Dankeschön! Mit besten Grüssen an Mark ☺ /

Die Sinnlosen überraschten mich jedes Mal aufs Neue. Ich ging in Windeseile das Programm nochmals durch, um mir die Sätze Wort für Wort zu notieren. Während ich mir die Fakten geflissentlich aufschrieb, blieben einige Worte in meinem Hinterkopf hängen.

…Was, wenn du deine Hand auf die heisse Kochplatte hältst und es nicht schmerzt…

…Nach dem Sex ins Bad zu rennen – oder schlimmer noch, den Akt abzuwürgen – tönt nicht…

Und dann kombinierte mein Unterbewusstsein diese Sätze mit einigen Erinnerungen meinerseits.

«Ich kenne eine Person. Sehr gut sogar. Aber sie möchte anonym bleiben. Ich hingegen kann dir alles erzählen.»

Ana und ich hatten schon vorher über CIPA gesprochen – ich war einfach zu abgelenkt von ihrer Anwesenheit gewesen, um dem Thema genügend Aufmerksamkeit zu schenken.

Mehr Erinnerungen.

…Ana, die nach intensivem Küssen beinahe ins Badezimmer flüchtet…

…der Geruch in der Küche, nachdem sie Hals über Kopf zu ihrer Tante fahren musste. Der Geruch von Keksen und … ja, verbrannter Haut…

GREG

Ich war gerade dabei, alles zu löschen, was nachverfolgt werden konnte, als etwas in meiner erweiterten Sicht meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Reflexartig ergriff ich mein Smartphone. Anstatt zu vibrieren und zu blinken, blinkte es nur. Merkwürdig.

Für den Bruchteil einer Sekunde war ich ein wenig entnervt, dass mein gezielter Eingriff in das Smartphone-System nicht gründlich genug gewesen war. Ich hatte bereits den Home-Button gedrückt, um die Nachricht ganz lesen zu können, aber als ich auf das Display schaute, realisierte ich, warum mein Smartphone nicht vibriert hatte.

Es war gar keine Nachricht, die hereingekommen war. Jemand rief mich gerade allen Ernstes an. Warum um alles in der Welt würde mich jemand, der meine Nummer kannte, anrufen?? Zudem war mir die Nummer nicht bekannt. Und ich hatte sämtliche Nummern aller Leute, die ich kannte, abgespeichert.

Aber als ich die Vorwahl sah, traf mich die Erkenntnis wie ein Blitz. Es gab lediglich eine Person, die ich kannte, die in dieser Gegend lebte. Und es gab nur einen einzigen Grund, wieso ausgerechnet sie mich anrufen würde.

Und dann rannte ich los.

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